Der Schnebeser Schmied - eine Wilderergeschichte

Auf luftiger Höhe am Fuße des Knocks, an der Straße Steinach - Helmbrechts, liegt der einsame Weiler Schnebes. Der Wald beherrscht das Landschaftsbild ringsum und Felder, Wiesen und Dörfer leuchten wie Inseln da und dort aus dem Meer der dunklen Tannen und Fichten. „Die Berge hoch, der Boden steinig, das Klima raub, die Wege schlecht und die Bevölkerung arm!" So hat man noch am Anfang unseres Jahrhunderts aus Anlass der Einführung des Amtmannes den Landkreis Stadtsteinach charakterisiert, in dem der Schmied zu Hause war. Während die französische Revolution und die Kriege Napoleons Europa in fieberhafte Unruhe stürzen, verlebt der Sohn des Schmiedes und Büchsenmachers von Schnebes seine Jugend. In dem denkwürdigen Jahr der bayerischen Geschichte 1818 beginnt er, zum Manne gereift, sein lichtscheues Gewerbe.

Mit Büchse und Schlinge

Was waren auch die paar Groschen der armen Bauern in der großen Hand des jungen Schmiedes?

Wenn er in die Taschen griff, so sollte es klingen und läuten wie in den Geldkatzen der reichen Floßherren drunten im Grunde. Verächtlich schaute er auf die armseligen, verrosteten Pflüge und Wagen. Er liebte laute Gelage. Er wollte hin und wieder Gastgeber sein in fröhlicher Runde. Dann sauste seine Schwielenhand auf den Eichentisch, dass die Krüge tanzten: „Alles geht auf die Rechnung des Schnebeser Schmied." So einer war also der Schmied und auf diese Weise wurde allmählich Schmalhans Küchenmeister bei ihm. Als er den vorwurfsvollen Blick der Frau, die ihm trotz heftigen und langen Widerstandes ihrer Eltern in die Ehe gefolgt war, und den Jammer der Kinder nimmer zu ertragen vermochte, verlegte er sich nach und nach ganz aufs Wildern, und Büchse und Schlinge traten an die Stelle von Hammer und Amboss. Hatte er doch von seinen Ahnen, die um 1700 aus Steinwiesen im Flößgrund in die Gegend von Presseck gekommen waren, besonders aber von seinem Urgroßvater, einem verwegenen Waldläufer, jene unselige Leidenschaft geerbt und ewig gärend im Blute. Der große freiherrliche Waldbesitz lag zudem ausgebreitet vor den Augen des Schmiedes mit jedem neuen Tag. Er kannte jeden Wasserriss, jedes heimliche Gründlein und die verschwiegenen Waldwiesen im ganzen Revier. Er kannte die Gewohnheiten und Schwächen des Forstpersonals und der herrschaftlichen Jäger. Er würde ihnen schon nicht in die Falle gehen und seine Begegnung mit ihm würde jeden teuer zu stehen kommen. So tauchten allenthalben Schlingen auf im herrschaftlichen Revier, in den Privatwaldungen, im königlichen Forst und in den Korporationswäldern. Und der Schmied spielte den großen Mann und saß mit reichen Floßherrn beim Kartenspiel.

Bald jedoch war es ein offenes Geheimnis, wie er zu seinem Gelde kam. Noch wagte niemand, ihn zu verraten;
mit dem starken Mann war nicht gut Kirschen essen. Es genügte ein Blick, der da sagen wollte: „Wenn du nicht schweigst, so kannst du deine Knochen irgendwo zusammenlesen!" Aber -„Der Wald hat Ohren!", sagt ein altes Sprichwort. Und tausend Augen hat der Wald. Im Demantzauber des Winterwaldes gar gibt er letztes Geheimnis, die Spur, schonungslos preis. „Das kann nur er` gewesen sein;
solche Riesenschritte macht kein anderer weit und breit", grollte der Forstverwalter und weil er das Erbe jenes Siebenfreund angetreten hatte, der nach dem Schrecken der 30 Jahre für Ordnung gesorgt zu haben klaubte, so war er ein harter Mann. Als man den Schmied zwischen Hütern der Sicherheit durchs Dörfchen führte, da gab es allenthalben platte Nasen an den gefrorenen Fensterscheiben. Bei ihm daheim hockte die Sorge in allen Winkeln, und Weib und Kinder liefen mit verweinten Augen unterm Schindeldach umher und trauten sich nicht mehr unter ihresgleichen. Doch sollte es noch einmal gut gehen. Wie ein Märchen mutet es uns an zu hören, dass es seiner ältesten Tochter, die eingnädiges Schicksal mit ungewöhnlicher Schönheit ausgezeichnet hatte, durch einen Kniefall beim bayerischen König gelang, die Begnadigung zu erwirken. Als der Schmied zu den heimatlichen Bergen emporstieg, da war es ihm, als ob der Wald, sein Wald, neue Kraft für ihn ausströmte. Freilich den „großen Hansen" konnte er vorläufig nimmer spielen;
seine Taschen waren leer und Frau und Kinder litten bittere Not. So wurde es wieder eine Zeitlang in der Schmiede lebendig und aufgearbeitet, was seit Jahr und Tag herumgelegen. Der Schmied war tüchtig in seinem Handwerk und ein Scher wie kein zweiter weit und breit. Finster saß er in der Schenke und streckte die langen Beine weit von sich.

Dann aber war er, obwohl daheim, tagelang nicht zu sehen. Der „hochbefähigte und intelligente Mann", der auch das Gewerbe eines Büchsenmachers ausübte, saß in seiner Werkstatt und traf die Vorbereitungen zu neuer Fahrt in die Wälder. Er verstand, so unglaublich es auch klingen mag, die Kunst mit Schuhnägeln zu schießen und Jagdbüchsen herzustellen, die man zerlegt in die Taschen stecken konnte.

Eines Tages war die Schmiede wieder geschlossen und die Kundschaft verzog sich nach und nach. Erst nach Wochen war der Schmied wieder da;
doch in der Werkstatt blieb es still. Um so lauter ging es in der Schenke zu. Der Schmied schlug blanke Taler auf den Tisch, und bald hatte sich ein Kreis von Schmarotzern um ihn geschart, arme Weber, die den Schnaps gern tranken, Bauern und Holzknechte und andere zweifelhafte Gesellen. Der Schmied war wieder in seinem Element. Nach kurzer Zeit war der Spuk verschwunden und mit ihm der Schmied und seine Kumpane. Die Schmiede aber hatte nun täglich Anspruch: von weit und breit kamen jammernde Frauen auf der Suche nach ihren Mannsbildern. „Sie werden schon wiederkommen, die Lumpen, die versoffenen!" tröstete die Schmiedin, „Unkraut kommt nicht um!" So wie sie eben standen, hatten die Weber ihre Stühle und die glänzende Webschwarte verlassen und waren dem Schmied gefolgt, und der Fabrikant, die Rienecksche Tuchweberei in Grafengehaig, wartete vergebens auf die Lieferung. Nach Wochen waren alle wieder da und der Schmied auch. Die Waldschenke hatte wieder gute Tabe, das Schnapsfass lief ohne Unterlass. Freilich, manches Weberlein setzte sich wieder stillschweigend und beschämt auf die Webschwarte, und nur ein kleiner Kreis handfester und verwegener Gesellen verschrieb sich auf Gedeih und Verderb dem Schmied.

Dem Schmied, als Führer der vor keiner Gewalt zurückschreckenden Wildererbande, war zwar schwer beizukommen. Er konnte aber nicht verhindern, dass einer seiner Kumpane aus Thiemitz zum Verräter wurde. Es gelang der Behörde, ihn unter äußerst günstigen Bedingungen als Jagdschutzorgan anzustellen. Mit ihm, der die „Arbeitsweise" und die Schleichwege kannte, konnte man einen Teil der Bande dingfest machen. Unter diesen Umständen verlegte der Schmied sein menschenscheues Handwerk über den „Walfischrücken" des Döbra und über den Rennsteig hinweg weiter nach Norden. Als der Schmied erst einmal dem König der Wälder, dem Hirsch, der nur selten von Fichtelgebirge oder Thüringer Wald herüber durch die fränkischen Wälder wechselte, gegenüberstand, Aug in Aug, war wilde Jagdlust in ihm aufs höchste gestiegen und er endgültig seinem Schicksal verfallen. Und da er sich als harmloser Holzarbeiter geschickt zu tarnen wusste, stand er bald mit entlegenen Waldschenken, Schleichhändlern und Waldläufern in engster Verbindung und brachte seine Beute laufend an den Mann. Ungeniert bewegte er sich nicht nur in der Ferne, sondern auch in der Heimat mit falschem Bart, und die Fähigkeit, seine Büchse in zerlegtem Zustand in den Kleidern verschwinden zu lassen, brachte ihm große Vorteile. Es war vor allem das fränkische Bad Steben, das gerade im Entstehen war, wo er seine Beute immer wieder an den Mann brachte, und auch die Forellen, die er mit unglaublicher Sicherheit aus den Bächen holte.

Da das Hirschleder damals sehr gefragt war, gab es auch hier keine Absatzschwierigkeiten. Mit Vorliebe verlegte er seine Wildererfahrten an die Grenze am Rennsteig, wo heute der berüchtigte Todesstreifen verläuft;
konnte er sich doch jederzeit mit seiner Bande durch die Flucht über die Grenze seinen Verfolgern entziehen. Ein anderer Umstand kam ihm noch zugute. Ein Holzkäfer hatte gerade große Bestände der reußischen Wälder verheert;
sie maßten von einem großen Aufgebot, zum Teil auch fremden Waldarbeitern, niedergelegt und aufgearbeitet werden. In den dumpfen Schlag der stürzenden Waldriesen mischte sich öfter und öfter das Krachen der Büchsen. Es war das Forsthaus Waldmannsheil bei Blankenberg, dem die Bande zuerst auffiel. Bald kam es zu Zusammenstößen. Der Zufall wollte es, dass bei einer Streife gerade der Schmied und sein bester Schütze überrascht wurden, wie sie auf einer Lichtung ein Stück Rotwild ausweideten. Da die Streife den Befehl hatte, die Rücksichtslosigkeit der Bande mit gleicher Münze zu bezahlen, so wurde auf die Überraschten sofort Feuer gegeben. Doch gelang es dem Schmied und den zu Hilfe eilenden Genossen, in lang anhaltendem Gefecht, das sich über weite Strecken hinzog, sich von der überlegenen Streife zu lösen. Hier vor allem zeigte der Schmied seine ganze Verwegenheit und Brutalität. Einen unvorsichtigen Förster, der mit ihm im Verlauf des Gefechtes in Berührung kam und dem er an Verschlagenheit und Gewandtheit weit überlegen war, stieß er auf grässliche Weise mit dem Hirschfänger nieder. Sein Begleiter, der die Tragödie miterlebte, war darob so erschüttert, dass er nie mehr mit ihm zum Wildern ging. Hauptsächlich bei diesem Kampf begründete der Schmied seinen Ruf, dass er kugelfest sei. Tatsächlich war es nur eine Axt im Koller des Schmieds, die ihn vor der tödlichen Kugel gerettet hatte. An ihm war der Zusammenstoß auch nicht spurlos vorübergegangen und es schien ihm diesmal geraten, schon vor der Zeit den Heimweg anzutreten. Die Wirtin der Waldschenke wartete diesmal vergebens auf ihn. Diesmal blieb er daheim bei Weib und Kind, riss das Schindeldach vom Haus und schaffte Ordnung, wo Not am Manne war.

Es kam aber bald doch so, wie es kommen musste. Nochmals sammelten sich die letzten Kumpane um den Schmied zu neuer Fahrt. Diesmal aber richtete die reußische Abwehr ihr Hauptaugenmerk auf das Haupt der Bande. Tatsächlich gelang es einem jungen Forstmann, das Märchen von der Kugelsicherheit des Schmiedes zu zerstören. Überrascht und eingekreist, wurde er schonungslos niedergeschossen. Nun lag er vor ihnen, der starke Mann, der Schrecken der fränkischen und thüringischen Wälder. Durch das fürstliche Forstamt Hirschberg lief so am 18. September 1838 die Kunde, dass ein Hufschmied aus Schnebes im Bayerischen am 16. September als Wildschütz im Saalwald von einem Forsteleven erschossen und am 18. in aller Stille auf dem Friedhof in Pottiga beerdigt wurde. „Da weder vom Alter noch von sonstigen Verhältnissen des Unglücklichen etwas zu finden war, so kann darüber nichts weiter berichtet werden." Obwohl in früheren Jahren Wilderer meist gar nicht ins Sterberegister eingetragen wurden, lesen wir doch in den Akten des Pfarramts Frössen: „Der Tod dieses Mannes ist im Sterberegister der evangelischen Kirchengemeinde Pottiga 1838/8 verzeichnet. Er wird dort `Hellgott` genannt." Noch vor einigen Jahrzehnten will man in Pottiga bei Blankenstein eine mit Pfählen umfriedete Stelle gesehen haben, angeblich zum mahnenden Exempel für alle Wilddiebe.

Da der Schmied tot war, glaubte man Ruhe zu haben vor der Bande. Nichts von alledem! Laut und lauter krachte es in der Nähe des Forsthauses Weidmannsheil. Im Verlauf der nächsten Tage deuteten alle Anzeichen darauf hin, dass die Bande festen Willens sei, ihren Anführer zu rächen. Wiederholt war der Bezwinger des Schmiedes nur knapp ihren Büchsen entgangen. Die Forstbehörde sah sich schließlich gezwungen, den Förster an einen neuen Wirkungsort zu versetzen. Dort wurde er von einem Dachfenster aus von unbekannter Hand auf offener Straße erschossen. Man ist wohl nicht fehlgegangen, wenn man annahm, dass der Mörder unter der Schnebeser Bande zu suchen sei.

Quellenangabe:

M. Pittroff, Heimatbeilage Bayer. Rundschau, 4/1952